Seit letzter Woche steht mit Anno 2205 der sechste Teil der bekannten Aufbaustrategieserie in den Händlerregalen. Auch wir haben die Gelegenheit zum Spielen genutzt und fassen unsere ersten Eindrücke in diesem Bericht für euch zusammen.
Zurück in die Zukunft
Anno 2205 schickt uns wieder in die Zukunft – durchaus auf dieselbe gute alte Erde, die wir aus dem Vorgänger Anno 2070 noch kennen. In den dort vergangenen 135 Jahren ist der Kampf um die Ideologien der Tycoons, Ecos und Techs wieder verschwunden, aber die Welt hat natürlich weiterhin mit den weiter sinkenden Ressourcenvorräten zu kämpfen. Als Lösung wird die erneute Kolonisierung des Mondes angesehen, welche wir als Spieler „annotypisch“ in Angriff nehmen sollen.
Die Entwickler haben mit dem neuesten Anno das Setting nicht nur weiter in die Zukunft geschickt, als je zuvor, sondern auch das Spiel überarbeitet und teilweise gründlich aufgeräumt – dabei sollen vor allem die Spieler-Rückmeldungen zu den vergangenen Teilen eine große Rolle gespielt haben.
Kleines Startup vs. The Big Five
Mit dem neuen Spiel verschwimmt die Trennung zwischen Kampagne und Endlosspiel – es gibt quasi nur noch das Endlosspiel, welches durch besondere Aufträge die Story voran treibt, und dabei dem Spieler weitestgehend freie Hand lässt. Die Geschichte nimmt den Spieler aber an die Hand und führt ihn parallel dazu gut in das Spiel ein – so das auch Einsteiger an die meisten Features herangeführt werden.
In der Story geht es darum die nur indirekt auftretenden KI-Mitbewerber im Rennen um den Mond zu schlagen. Dabei treten die KI-Spieler nicht mehr als eigenständig siedelnde Fraktionen auf, man braucht also nicht mehr um den Platz auf der Karte zu fürchten.
Prima Klima
Grundsätzlich starten wir eine neue Siedlung in mildem Klima – das heben wir deswegen so hervor, weil es im späteren Spielverlauf nichts an einer parallelen Besiedlung eines arktischen Sektors vorbei führt.
Parallel? Ja, denn das ist eine wichtige Neuerung in Anno 2205: die sogenannte „Multisession“.
In den alten Anno-Teilen gab es verschiedene Klimazonen immer nur auf derselben Karte – zum Beispiel in Anno 1404 die Orient- und Okzident-Inseln. Im neuen Spiel sind die verschiedenen entsprechenden Produktionsketten strikt getrennt und in Sektoren gepackt.
Während wir also im gemäßigten Klima an unserer Metropole feilen, gilt es mit Vorposten in der Arktis und später auf dem Mond, benötigte Rohstoffe oder fertige Waren zu besorgen, die allen zu Gute kommen. Die Sessions in den unterschiedlichen Sektoren laufen dabei immer parallel weiter.
Dabei unterscheiden sich die notwendigen Spielstrategien in den Klimazonen erheblich – Beispielsweise benötigen unsere Bewohner der Arktis die Nähe zu Fabriken, da diese Gebäude Wärme an ihre Umgebung abgeben.
Bruttoregistertonnen satt
Das traditionelle System mit den simulierten Landtransportern (Stichwort: Marktkarren) und den automatischen Handelsrouten mit selbst gebauten Schiffen hat ausgedient: die produzierten Rohstoffe und Produkte stehen Sektorweit sofort zur Verfügung, nur den Warenaustausch zwischen den Sektoren müssen wir im neuen Anno noch selbst regeln. Diese neuen Routen kosten zwar Unterhalt, aber der eigene Schiffsbau gehört der Vergangenheit an – als Manager eines Weltkonzerns müssen wir uns damit also nicht mehr befassen 😉
Dieses neue Konzept sorgt für eine enorm gute Übersicht der hergestellten und benötigten Produkte, und ermöglicht sehr gezieltes Eingreifen, wenn hier und dort ein Ausbau der Siedlung die hergestellten Verbrauchsgüter übersteigt. Eine so gute direkte Rückmeldung gab es bei Anno noch nie – das dürfte besonders Einsteiger in die Anno-Welt sehr freuen.
So weit laufen bis zum Bahnhof?!
Die sektorweite Bereitstellung aller Artikel ermöglicht völlig neue Baukonzepte – zum Beispiel die Farmen auf eine Insel, die weiterverarbeitende Industrie auf eine andere – sie bezieht sich auch auf die rein virtuellen Bedürfnisse unserer Einwohner: in den bisherigen Teilen hatten alle Gebäude einen Einflussradius, die sich bei den öffentlichen Bedürfnisgebäuden idealerweise überlappen sollten, damit alle Einwohner zufrieden sind.
Im Jahr 2205 hat sich das geändert: auch die öffentlichen Gebäude stellen eine gewisse Leistung inselweit zur Verfügung, so dass diese theoretisch auch am Rande nebeneinander platziert die ganze Stadt versorgen können. Eine zentrale Platzierung bietet Vorteile (längere Wege sorgen dafür, das die Einwohner mehr Service benötigen), ist aber nicht mehr Grundvoraussetzung für eine florierende Stadt.
Landwirtschaft 2.0
Das traditionelle Konzept der „Farmen“ mit einem Hauptgebäude und einer gewissen Zahl Felder hat ausgedient. Jede Farm kommt komplett als Einheit direkt aus dem Baumenü und produziert dann mit einer Leistung von 100%. Stattdessen können wir die Farmen und Produktionsanlagen erweitern und so zum Beispiel bei einem Minenbauplatz einen zweiten Schacht oder bei der Reisfarm ein weiteres Feld hinzufügen – was den Ausstoß natürlich deutlich positiv beeinflusst.
Die Fruchtbarkeiten der Inseln sind ebenfalls dem Rotstift zum Opfer gefallen, was aber den Spielfluss deutlich vereinfacht – das hätte mit der neuen Logistik eh keinen Sinn mehr gemacht.
Für Minen aller Art benötigt man nur noch einen beliebigen Minenbauplatz, und für Küstengebäude einen Küstenbauplatz – beides steht über die Inseln verteilt in einer begrenzten Anzahl zur Verfügung.
Für den Bau von Gebäuden benötigt man auch im neuen Anno wieder Geld und natürlich Baumaterial – das Baumaterial wird aber traditionell über eine entsprechende Produktionskette erzeugt. Alle Produktionslinien benötigen, neben dem Bauplatz, auch Arbeitskräfte, Energie, Logistikpunkte und einen Anschluss an das Straßennetz, und erfordern meistens einen gewissen Betrag für den Betrieb.
Durch den Aufbau der Siedlungen stehen aber schnell genügend Arbeitskräfte zur Verfügung – Strom und Logistik erhält man über entsprechende Zusatzgebäude.
Oder doch lieber da hin?!
Ein schönes neues Feature ist: alle Gebäude aus dem Baumenü lassen sich verschieben. Stellt man also später fest, dass die Plantage „hier“ zu viel Platz benötigt, der „dort“ im Überfluss vorhanden wäre, dann zieht man die Plantage ohne Einschränkungen mit der Maus dorthin. Nur noch ggf. am Zielort wieder für Straßenanschluss und Co. sorgen… Das klassische Einreißen und neu Bauen ist alternativ trotzdem möglich, gerade aber bei den teureren Gebäuden oder beim Stadtausbau wird man diese Funktion schnell lieben.
Neue Aufträge
Neben der Hauptstory, welche in Form von aufeinander folgenden Aufträgen den roten Faden durch das Spiel spannt, gibt es in jedem Sektor ein Sektorprojekt – dieses wird auch in Form von mehreren Aufträgen erledigt, und der erfolgreiche Abschluss bringt immer einen dauerhaften Bonus für den Sektor – zum Beispiel kann man auf einer der gemäßigten Karten Staudämme reaktivieren und damit für ein komfortables Energiepolster im Sektor sorgen.
Ansonsten findet man auf jeder Karte noch einen neutralen Händler, welcher bestimmte Güter zum Verkauf anbietet, und an deren Stützpunkt die KI-Spieler Aufträge anbieten. Hier werden parallel bis zu vier Aufträge angeboten, deren Erfüllung besondere Rohstoffe liefern – ab und zu gibt es auch Geld oder andere wertvolle Produkte als Belohnung. Die Aufträge sind hierbei immer simpel gestrickt, und geben einem zumindest immer das Gefühl auch etwas für die Belohnung getan zu haben. Benötigt man gerade aktuell eine bestimmte Belohnung, die aber bei den Aufträgen nicht dabei ist, kann man die Aufträge ablehnen und nach einer kurzen Wartezeit steht ein anderer Auftrag zur Verfügung – vielleicht ist hier das richtige dabei…
Wichtig: die besonderen Rohstoffe zur Erweiterung der Produktionsanlagen bekommt man nur über die Missionen und kann sie nicht selbst herstellen.
Aber bitte keine Kratzer am Hafen machen…
Eine besondere Art von Aufträgen sind die Kampfmissionen. Anno 2205 hat den Krieg größtenteils, im wahrsten Sinne des Wortes, ausgelagert: dafür gibt es besondere Kampfsektoren, wo es mit einer kleinen Flotte aus Kampfschiffen gegen den einzigen KI-Gegner geht. Hier gilt es kleine Flotten von gegnerischen Schiffen zu versenken (sonst mache die dies mit euren Schiffen 😉 ) und ein Missionsziel zu zerstören. Das Sammeln von Belohnungen auf dem Weg zum Ziel ermöglicht Sonderaktionen, wie zum Beispiel die Reparatur der eigenen Schiffe oder auch einen Atomschlag auf einen bestimmten Bereich.
Diese Auftrennung hat den Vorteil, dass man sich voll auf den Aufbau konzentrieren kann, und auf den normalen Karten weder um sein Flaggschiff, noch um die Kolonien bangen muss.
Die Erfüllung der Kampfmissionen bringt wiederrum die seltene Rohstoffe, welche für die Erweiterung der Produktionsketten benötigt werden. Der Gewinn oder Verlaust der Missionen hat auf den sonstigen Spielverlauf kaum Einfluss – wer also in Anno bisher ungern das Kriegsbeil geschwungen hat, wird diese Auftrennung lieben. Vor allem, da im Rahmen der Story nur eine einzige Kampfmission gespielt werden muss, alle anderen Kämpfe sind freiwillig und die Belohnungen können immer über ein alternatives Spielziel erreicht werden.
Ist Anno noch Anno?
Ja, das Anno-Feeling setzt beim Aufbau der Sektoren sofort ein und die merklich eingeflossenen Entscheidungen haben das Spiel trotzdem deutlich verändert. Eingefleischte Traditionalisten werden es vielleicht schwer haben, aber die meisten Änderungen sind echt Vorteilhaft und lassen sofort die Frage aufkommen: wie konnte ich bisher ohne das leben? Vor allem stammen die meisten Verbesserungen ja aus den Kritikpunkten, welche die Spieler der bisherigen Teile zurückgegeben haben.
Besonders für Einsteiger bietet der sechste Teil der Serie eine sehr geringe Einstiegshürde, aber auch Fans der Serie werden nicht unterfordert. Auf dem Weg zur Metropole gibt es viel zu entdecken.
Die verschiedenen Sektoren sorgen für einen neuen Tiefgang, zumal sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch jeweils etwas anders spielen – so hat man nicht den Eindruck, die gleiche Stadt mit einer anderen Textur zu bauen, sondern eine eigenständige Kolonie.
Natürlich hat die neue Grafik auch einen nicht unwesentlichen Anteil: Anno 2205 sieht sehr gut aus, und auf den detailliert gestalteten Sektoren kommt die Stimmung rüber.
Das Anno-Flair mit Wuselfaktor herrscht weiter vor: in den Siedlungen gibt es Verkehr und die Einwohner sind auch zu Fuß unterwegs; In den Industriegebieten pendeln Transporter, auf dem Meer fahren Schiffe, und sobald es Routen von und zum Mond gibt sind auch startende und landende Raumtransporter zu entdecken – im späteren Spiel ist rund um die eigene Basis im gemäßigten Sektor schon viel los.
Anno 2205 fesselt den Spieler wieder typisch an den PC und macht viel Spaß – besonders solange man sein Budget im Auge behält. Dann kann man mit seinen Einwohnern gemeinsam dorthin reisen, wo noch kein Anno-Spieler zuvor war, und sich vom Spiel auf den Mond schießen lassen.